Etwas hat sich verschoben

ES KÖNNTE SO SCHÖN SEIN

Anna, die Ich-Erzählerin von "Regenschatten" sollte eigentlich gerade glücklich sein. Sie hat nämlich David kennengelernt und ist auch noch schwanger. Doch ihr ist schnell klar, dass das Kind nicht von ihm sein kann. Das erfahren wir aber erst nach und nach in Rückblenden. Der Roman beginnt in einer nahen Zukunft. Es ist heiss, am Zürichberg gab es einen Waldbrand und das Quartier wurde evakuiert. Anna ist alleine und hochschwanger zurückgeblieben, blickt auf verkohlte Baumstrünke, schwarze Überreste der einst grünen Lunge der grössten Schweizer Stadt, innerlich immer noch glühende Baumstämme.

In kurzen, episodischen Rückblenden verrät uns Anna, was in den Monaten vor dem verhängnisvollen Waldbrand geschehen ist. Schnell erfahren wir, dass Anna und David in einer Zeit leben, in der sich das Klima dramatisch erhitzt hat. Der Jetstream ist zum Erliegen gekommen, Bruthitze die Folge. Etwas Abkühlung findet man nur noch in den Bergen, aber auch da ist alles in Bewegung. Und etwas bewegt sich mit der Schwangerschaft auch in Anna:

"Und ich spürte, dass sich auch in mir etwas verschob, wie Gneis, der erst durch die Verschmelzung von anderen Gesteinen entsteht und nur unter starkem Druck und hohen Temperaturen." (S. 35)

Parallel zum klimatischen Drama von Hitze, Trockenheit, Feuersbrunst, Staubstürmen und brennenden Vögeln entwickelt sich auch Annas persönliches Drama. David verschwindet und sie muss sich entscheiden, ob sie das Kind möchte oder nicht und wie bzw. mit wem sie es aufziehen möchte.

Hier möchte ich inhaltlich nicht mehr verraten, damit die Lektüre spannend bleibt. Mich hat der nur knapp 170 Seiten lange Roman abgeholt. Ich konnte mich schnell mit Anna identifizieren und auch die Bedrohung durch die Erhitzung der Welt ist leider nur allzu glaubwürdig. Auch wenn man teils im Dunkeln tappt, weshalb Anna sich nun alleine im Sperrgebiet befindet, kann man ihre Gefühle und Gedanken nachvollziehen und durch die geschickt verwobenen Rückblenden kriegt man nach und nach ein deutlicheres Bild von den Ereignissen in Bezug auf den Waldbrand, aber auch die persönliche Situation von Anna

GEWEBE AUS GLOBALEN UND PERSÖNLICHEN ENTWICKLUNGEN

Manchmal hatte ich etwas Mühe, mich in den Zeiten zurechtzufinden. War nicht ganz sicher, ob ich mich mit Anna gerade in der (künftigen) Gegenwart befinde oder in der Vergangenheit, aber das fand ich gar nicht schlimm. Die Auflösung der Geschichte und die Spannung, was Anna schliesslich tun würde in ihrer selbstgewählten und gefährlichen Isolation, hat mich nur so durch die Seiten getrieben. Die Autorin schreibt einfach, oft in kurzen, eindringlichen Sätzen und in sehr bildhafter Sprache. Sie lässt Szenen und zwischenmenschliche Verbindungen aufscheinen, ohne alles auszuerzählen.

Die Klimathematik und auch Annas Situation wirken bedrückend, aber trotzdem ist es nicht einfach ein schweres Buch. Das offene Ende mit Hang zum Positiven trägt sicher das seinige dazu bei. Hätte ich mehr Zeit und nicht so viele ungelesene Bücher, würde ich "Regenschatten" auch ein zweites Mal lesen und bestimmt wieder ganz neue Facetten entdecken.


Fazit

Seraina Kobler ist mit "Regenschatten" ein zwar bedrückendes, aber atmosphärisch dichtes und sprachlich bildhaftes Romandebüt gelungen. Sie verbindet eine auch real drohende Klimakatastrophe mit dem Schicksal einer jungen Frau, womit sie deren Hadern und Kämpfen noch intensiver macht. Einzelne Entscheidungen erscheinen gleichzeitig unwichtig für den Gang der Welt und andererseits so wichtig für die Individuen. Ich freue mich auf mehr von dieser Autorin!

Zum Artikel hier.

DIE FAKTEN

Regenschatten

Seraina Kobler

Kommode Verlag

176 Seiten

Erschienen im September 2020

Hardcover, mit Lesebändchen

ISBN: 978-3-9525014-6-7


PS: Herzlichen Dank für das Rezensionsexemplar an den Kommode Verlag.

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