«Es ist wichtig, dass Literatur die toten Winkel ausleuchtet»
Vor drei Jahren kündete Seraina Kobler ihre Stelle im Inland-Ressort der NZZ, um einen Roman zu schreiben. Das sei ihr Traum gewesen, seit sie an der «Basler Eule», dem Schreibwettbewerb für Jugendliche, einen Preis gewonnen habe, sagt die Autorin mit Jahrgang 1982.
«Natürlich war mir klar, dass der Wechsel von der Medien- in die Buchbranche – zumindest ökonomisch betrachtet – nicht besonders sinnvoll ist», sagt Seraina Kobler. «Aber so ist das manchmal mit Herzensangelegenheiten.» Die Autorin ist im Gundeli, später in Binningen, Oberwil, Biel-Benken und danach in Muttenz gross geworden.
Seit dem Studium wohnt Kobler in Zürich, wo sie als Inland-Redaktorin für verschiedene Zeitungen wie den «Tages-Anzeiger» oder die NZZ arbeitete. 2017 hat sich die Mutter von vier Kindern mit einem Schreibatelier selbstständig gemacht. Mit «Regenschatten» (siehe Box unten) legt sie ihr Debüt vor.
Man kann «Regenschatten» als einen engagierten Roman zum Thema Klimaerwärmung verstehen. War Ihnen diese politische Dimension ein Anliegen? Und was vermag Literatur?
Seraina Kobler: Ich habe versucht, eine Deutung des Zeitgeistes zu verdichten und in Bilder zu packen. Natürlich schwingen hier auch Ängste mit. Und natürlich ist das immer eine Momentaufnahme. Es ist wichtig, dass Literatur die toten Winkel ausleuchtet. Mit den Möglichkeiten spielt und uns dadurch vor Augen hält, was wir gerne verdrängen.
Welche Rolle spielte für Sie dabei die Gegenwart? Beispielsweise Berichte von Naturkatastrophen, die leider keine Fiktion sind?
Beinahe alles, was ich im Buch beschreibe, hat sich irgendwo in Europa zugetragen. Ich habe die Ereignisse lediglich in einen zeitlichen und örtlichen Zusammenhang gestellt.
Die brennenden Vögel zum Beispiel.
So geschehen in Rostock 2018. Kommt aber immer wieder vor. Auch im vergangenen Sommer. Weil: mehr Stromleitungen und trockenere Böden.
Trotzdem habe ich noch nie eine Dystopie gelesen, die mir so viel Hoffnung geschenkt hat. Was denken Sie, woran liegt das?
Ich hatte nicht wirklich geplant, eine Dystopie zu schreiben. Und dennoch hat der Text erst so richtig Zug bekommen, als aus der Hitze eine Dürre wurde. Und aus der Dürre eine Katastrophe. Die Hoffnung kommt vielleicht daher, dass ja auch die sehr persönliche Geschichte einer jungen Frau erzählt wird, die tröstlich zeigt, wie wir auch im Kleinen ins grosse Ganze eingebettet sind.
Wie sind Sie vorgegangen, um diese Dystopie so bildhaft hinzubekommen? Haben Sie sich von literarischen oder cineastischen Klassikern inspirieren lassen?
Zuerst war da das Thema von Traumata, die über Generationen gespiegelt weitergegeben werden. Dann bin ich im Frühling in einen Blütenstaubsturm hineingeraten. Ich fuhr mit dem Velo mitten auf der Strasse, zwischen LKW, die gerade von der Autobahn kamen. Und dann fegte diese gelbe Wolke über uns hinweg und hat mich schier vom Sattel gehauen. Da wusste ich: Die Sommerhitze im Buch kann nicht bloss Setting bleiben. Ich begann zu recherchieren. Fand Chronistenquellen aus dem Jahr 1540, die eine unvorstellbare Dürre schilderten. Über diese Phänomene wird nicht wie heute mit nüchternen Zahlen berichtet, sondern mit Bildern. Wie die Menschen im Wahn nach Wasser gruben und schon im Frühjahr Bittgottesdienste für Regen abhielten.
Der Roman spielt in Zürich. Ist er auch eine Art Hommage an die Stadt?
Zürich war wichtig für das Szenario. Eine blitzblanke Stadt in einem Alpenland, in dem man es sich gewohnt ist, dass die wahren Katastrophen anderswo eintreffen. Immer verschont zu werden, macht etwas mit einem. Das Privileg der Geburt wird gerne mit dem eigenen Verdienst verwechselt. Dem wollte ich etwas entgegensetzen. Denn Empathie entsteht leider oft erst durch Betroffenheit.
Sie beschreiben eindrücklich, wie die Hauptfigur Anna ihr Kind zur Welt bringt. Kann man das als Plädoyer für eine Hausgeburt lesen, oder ist die Szene eher metaphorisch zu verstehen, so im Sinn von «Phönix aus der Asche» – das Wunder des Neuanfangs inmitten der Katastrophe?
Anna möchte alles richtig machen. Sie sucht nach Erklärungen in einer zunehmend komplexen Welt. Dabei ist sie schon überfordert, wenn sie sich beim Bäcker für ein Brötchen entscheiden soll. Sie betäubt sich am Wochenende in den Clubs. Bis sie sich verliebt. Die Alleingeburt ist für sie eine brachiale Befreiung. Weil sie dazu gezwungen wird, ihren Instinkten zu vertrauen. Denn Gebären ist ja im Prinzip nichts anderes, als sich sehr weit zu öffnen. Und dafür muss man vor allem eines: loslassen.
Sie haben das Buch Ihren Kindern gewidmet. Warum?
Ich werde ihnen einst wohl keine Ländereien hinterlassen, auch keine Juwelen oder Jachten. Dafür aber eine Widmung in einem echten Buch. Ich bin mir sicher, sie würden bestimmt nicht tauschen wollen. (lacht)
Roman
Seraina Kobler, «Regenschatten». Kommode Verlag, 176 S. www.serainakobler.com.
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