Wie es ist, mitten in einer Krise eine Dystopie zu veröffentlichen

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Du zeichnest in deinem Roman «Regenschatten» eine nahe Dystopie, in welcher der Winter der zweite Sommer ist und brennende Vögel vom Himmel fallen. Wie verhalten sich Recherche und Fantasie zueinander in deinem Text?
Zuerst war da die Hauptfigur, die Frage, wie sehr wir von den Generationen vor uns beeinflusst werden in unseren Entscheidungen. Irgendwann kam das Hitzeszenario dazu und ich stiess auf eine Studie zur Megadürre von 1540. Danach begann ich historische Originalquellen von Chronisten zu konsultieren. Die darin enthaltenen Bilder haben mir eine ganz neue, fantastische Ebene eröffnet. 

Hat dich als vom Dystopischen faszinierte Autorin das «Corona-Szenario» schockiert?
Ehrlich gesagt: Nicht wirklich. Wobei meine dystopische Vorstellungskraft in Hinblick auf den Klimawandel mit der Coronakrise noch lange nicht ausgeschöpft ist. Leider.  

Wie hat sich Corona auf deinen Erstling ausgewirkt?
Da waren natürlich die ganzen Festivals und Buchmessen, die wegfielen. Die persönlichen Begegnungen. Dadurch entstand auch immer wieder ein Abstand zum Buch. Dadurch konnte ich es aber auch nochmals neu kennenlernen. 

Welche Lesungen konntest du trotz Corona machen?
Ich las vor allem im intimen Rahmen. Im Wohnzimmer eines privaten Veranstalters, der ein Literaturfestival auf die Beine stellte, während alles abgesagt wurde. Oder auf einer Dachterrasse im November. Auch eine Sofalesung fand mit angepasstem Schutzkonzept in einem grösseren Raum statt. Diese Veranstaltungen waren für mich wahnsinnig wertvoll. 

Gab es im literarischen Bereich auch «Antworten» auf Corona, die dir Mut machen und von denen du hoffst, dass sie bleiben?
Mir gefällt es sehr, dass sich die Literaturschaffenden zu vernetzen begannen. So entstand etwa im Lockdown ein eigenes Magazin mit Texten «von jetzt für jetzt». Neben der Publikation entstanden so auch Verbindungen, die nicht nur Mut machen, sondern auch – hoffentlich – später bestehen bleiben. Ein anderes Beispiel sind auch die Viral-Lesungen, die den Autor*innen Sichtbarkeit verliehen und Hoffnung schenkten. 

Wie hat sich Corona auf deinen Beruf als Lektorin, Schreibtrainerin und Texterin auswirkt?
Ich arbeite mit verschiedenen Standbeinen. Das Schreiben hat sich als krisensicherer erwiesen, als etwa Workshops und Kurse, für die man Planungssicherheit braucht. Das Problem: Das Schreiben ist halt in der Regel viel schlechter bezahlt. 

Wie erlebst du als Journalistin die Sparrunden in der Kultur- und besonders in der Literaturberichterstattung?
Ich bin quasi mit Sparrunden journalistisch sozialisiert worden. Manchmal kam mir die Arbeit auf gewissen Redaktion vor, wie ein «Tanz nach Jerusalem». Das Kinderspiel, bei dem immer ein Stuhl weniger zur Verfügung steht, wenn die Musik abstellt. Bei der Kulturberichterstattung ist das halt besonders tragisch, weil die sowieso schon viel schlechter dotiert ist als etwa ein Nachrichtenteam. Da nähern wir uns langsam einem Punkt, wo die fehlende Kritik auch für die Kunst- und Kulturschaffenden zu einem ernsthaften Problem wird. 

An was arbeitest du momentan?
Da gibt es verschiedene Projekte in unterschiedlichen Stadien. Bis Sommer habe ich vor, die Arbeit an einen literarischen Kriminalroman voranzutreiben, der in Zürich spielt. 

Was ist für dich als berufstätige Mutter und freie Autorin das Wichtigste zum Weiterschreiben?
In erster Linie Zeit. Was in zweiter Linie bedeutet: Geld. Wir leben in einer egalitären Familienkonstellation, wo mein Einkommen ebenso wichtig ist. Das hat aber auch Vorteile: Auch die Betreuung der Kinder wird egalitär geteilt. Wenn ich aber mal in einem Stoff drin bin, dann brauche ich oft trotzdem Extrazeit, die ich vor allem nachts und in den frühen Morgenstunden finde. Wenn die Welt noch im Schlaf liegt.  

Wo und wann sind deine nächsten Auftritte?
Ein literarischer Spaziergang von den Sofalesungen des Literaturhauses Zürich ist geplant. Analog – und je nach pandemischer Lage – auch digital. Im Mai lese ich dann am LITFEST, das erfunden wurde, nachdem die Buchmesse Leipzig abgesagt wurde. Und gleich darauf noch im Rahmen des Festivals «Hallo Tod» auf dem Friedhof Sihlfeld.

Seraina Kobler, Regenschatten. 176 S. Kommode Verlag, 2020. 

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Corona: Brennglas für literarisches Erzählen

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