Schriftstellerin und Zweckoptimistin

Die Zürcher Schriftstellerin Seraina Kobler hat einen fesselnden Debütroman über eine glühende Zeit geschrieben, in der Flüsse austrocknen und brennende Vögel vom Himmel fallen. Mittendrin eine werdende Mutter, die vor einer grossen Entscheidung steht. Mit Tsüri.ch spricht Seraina Kobler über ihr Werk «Regenschatten» und was es mit dem «Zürich der Hinterhöfe» auf sich hat.

Ihre ersten Lebensjahre verbrachte Seraina Kobler in den wilden Bergen des Tessiner Onsernonetals. Diese waren, in den noch wilderen 80er Jahren, fest im Griff von Hippies und Natur-Freaks. Max Frisch wohnte in einer Villa im Nebendorf und richtete dort gelegentlich rauschende Feste aus. Später hat ihre Familie oft nicht länger als ein paar Jahre an einem Ort gelebt. Als junge Frau, mit 21 Jahren, kam sie schliesslich nach Zürich. Eigentlich auf der Durchreise. Eigentlich auf der Suche nach dem Abenteuer Grossstadt. Gefunden hat sie stattdessen ein Zuhause: Seit über zehn Jahren schon wohnt sie in derselben Siedlung im Kreis 6. Dabei schätzt sie eine Sache besonders: «Aus dem Küchenfenster sehe ich den Wald. Die Kinder können alleine raus zum spielen. Es ist möglich, tagelang nicht in die Stadt hinunter zu müssen – fast wie in einer Parallelwelt.»

Schon während ihrem Studium war Seraina bereits Mutter. Danach arbeitete sie mehrere Jahre als Redaktorin bei verschiedenen Zeitungen. Im Inlandressort der «Neuen Zürcher Zeitung» war sie zuletzt für gesellschaftliche Fragen zuständig. «Noch während meiner journalistischen Ausbildung kam die Finanzkrise und mit ihr die Massenentlassungen beim Tages-Anzeiger. Uns wurde vermittelt: Regionalzeitungen und Wochenzeitungen haben die besten Überlebenschancen.» Diesem Grundsatz folgt auch Tsüri.ch. Und Seraina mochte es von Beginn an. «Tsüri.ch repräsentiert für mich die Stadt, in der ich lebe – abseits der Bahnhofstrasse. Geschichten, die ich so sonst nicht zu lesen kriege.»

«Es gäbe schon Fragen, die sich nun lauter stellen»

Wo steht Seraina Kobler jetzt? Was beschäftigt sie gerade? «Wie fragil die Welt ist, in der wir leben», sagt sie. Das hätten die letzten Monate nochmals verdeutlicht. «Es ist erstaunlich, wie ein so winziges Virus flächendeckend alles flach legt.» Gewisse Mechanismen der Pandemie hätten auch durchaus Ähnlichkeit mit der Klimakrise. Schon nur deshalb, weil sie ihren Ursprung in der selben Ursache haben: Unserem Lebensstil. Es gäbe schon Fragen, die sich nun lauter stellten. Wie oft im Jahr muss ich wirklich fliegen? Warum ist fliegen so viel billiger als der Zug? Wie viel muss ich kaufen, damit ich glücklich bin? All die «Luxus-first-world-problems» halt, sagt Seraina. Doch reiche die Perspektive des Einzelnen nicht aus. «Wir müssen das System ganz grundsätzlich so umbauen, dass es auch mit endlichen Ressourcen funktioniert», sagt sie. Sonst gehe die Rechnung nicht auf. Besonders für die kommenden Generationen.

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In eben solch einer brüchigen Welt spielt auch ihr Debütroman «Regenschatten». Eine Dystopie einer klimaveränderten Zeit, in der brennende Vögel vom Himmel fallen. Und mittendrin eine Mutter mit Kind, die vor der Entscheidung steht, ob ihr Kind leben oder sterben soll. Dass die Geschichte in Zürich spielt, sei kein Zufall. «Katastrophen sind etwas, das bei uns immer nur über die Bildschirme flimmert. Wir kommen immer irgendwie davon», sagt die Autorin. Das sei gefährlich. Weil Empathie oft erst aus Betroffenheit entsteht. «Wir stellen unseren Müll zweimal die Woche in weissen Zürich-Säcken auf die Strasse, während ein paar tausend Kilometer weiter Flüchtlingscamps brennen. Oder die Tundra.»In der Geschichte im Buch spielt sie ein «Was wäre wenn»-Szenario durch. Viel erfinden musste sie nicht einmal. Beinahe alle Ereignisse haben sich einmal irgendwo zu irgendeiner Zeit so zugetragen. Angefangen bei der Mega-Dürre von 1540 bis zu Sandstürmen auf Norddeutschen Autobahnen. «Im Prinzip musste ich diese Dinge nur in die gleiche zeitliche und räumliche Dimension bringen. Und schon war die Dystopie geboren», sagt Seraina. Vielleicht lag darin auch eine Art Verarbeitung von zehn Jahren auf den Redaktionen. Wenn man jeden Tag die Agenturmeldungen lese und die Nachrichten der Welt durch sich hindurch laufen lasse, dann bliebe da schon etwas zurück. Aus diesem Gefühl der Beunruhigung, des drohenden Kollapses in einer Welt, die sich immer schneller drehe, sei die Geschichte entstanden. Als Pessimistin möchte sie sich aber trotzdem nicht bezeichnen. «Eigentlich ist das Gegenteil der Fall», sagt Seraina.

Ich bin eher zweckoptimistisch veranlagt. Suche mir einen Weg, dahin wo es fliesst. Jedenfalls meistens.

Und wenn nicht? Dann igle sie sich ein. Bis es wieder vorbei geht.

«Ich liebe das Zürich der Hinterhöfe»

Manchmal entstehen dabei auch neue Ideen für Projekte. Derzeit schreibt sie an einem Kriminalroman über eine Seepolizistin. «Wie ihr Name Rosa Zambrano schon verrät, soll dabei auch die mediterrane Seite von Zürich zur Geltung kommen», sagt Seraina. Nebenbei werden auch historische Anekdoten eingeflochten und der Genus loci der Altstadt erkundet. Dort hat die Autorin nämlich auch ihr Schreibatelier. In einem verwunschenen Hinterhof, der sie zum Kriminalroman inspiriert hat. Beschattet wird er von einer ehrwürdigen Esche, die schon einst Gottfried Keller zugewispert hat. Sie versuche in der Geschichte, sagt die Autorin, einen Blick hinter die schmucken Fassaden zu werfen. Und auf die Stadt bezogen, sind das auch die Orte, die sie am liebt. Das Zürich der Hinterhöfe. Aber auch sonst belebte Orte anderen Zeiten. Es gebe fast nichts schöneres, als an einem warmen Novembertag in der Badi Mythenquai am Strand zu kneippen. Danach auf dem Campingkocher Spaghetti zu machen und auf das Alpenpanorama zu schauen. «Wobei», sagt sie «das ist dann schon wieder so kitschig schön, dass sie gleich wieder Lust bekomme, die Idylle zu brechen». Literarisch, natürlich.

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