Kulturkopf der Woche
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Seraina Kobler, 38, Autorin: Sie erzählt von brüchigen Welten
In ihrem Debütroman «Regenschatten» beschreibt die Zürcherin Seraina Kobler eine dystopische Schweiz, in der die Folgen des Klimawandels zur Bedrohung geworden sind.
Simon Knopf
Die Esche sticht sofort ins Auge. Neben Seraina Koblers Atelier ragt sie in die Höhe, spendet im Sommer wohl dem ganzen Innenhof im Zürcher Niederdorf Schatten. Wie aber erginge es ihr in jenem Zürich, das Kobler in ihrem Roman entwirft? In «Regenschatten» sind die Seen und Flüsse dabei, auszutrocknen. Die Wälder sind bereits verdorrt.
Zumindest an diesem Novembermorgen steht der Baum kräftig da. Und Seraina Kobler sitzt an einem Tisch vor ihrem Atelier, einem alten Waschhäuschen. Ihr gegenüber ein älterer Herr, den sie derzeit bei einem Schreibprojekt betreut. In dicken Jacken trotzen die beiden der bissigen Kälte, die der Hochnebel auf die Altstadt niederdrückt. Sicherheitsabstand. Etwas später, ihr Kunde ist gegangen, setzt Kobler im Atelier den Kaffeekocher auf den kleinen Elektroherd und sagt: «Der Blick von aussen aufs Schreiben hilft auch mir selber.»
Seit gut drei Jahren arbeitet sie als freie Texterin, gibt Schreibkurse und moderiert Lesungen. Dazwischen schrieb sie die Dystopie «Regenschatten». Darin versucht die schwangere Anna, sich in einer Welt am Rande einer Katastrophe zurechtzufinden. Elegant verbindet Seraina Kobler Themen wie familiäre Prägung, unser Verhältnis zur Natur und Klimaerwärmung. Und beschreibt eine überhitzte Schweiz, die der unseren bedrohlich nahe ist.
Themen, die sie nicht mehr losliessen
«Das Gefühl einer brüchigen Welt, die irgendwann kippen muss, hatte ich schon länger in mir», sagt sie. Als Journalistin war Seraina Kobler immer wieder auf Themen wie endliche Ressourcen gestossen – bis sie das alles nicht mehr losliess. «Es war ein Stück weit befreiend, das im Roman zu verarbeiten», sagt sie. «Ich fühle mich jetzt etwas weniger ängstlich.»
Kobler arbeitete lange an ihrem Debüt. Schrieb mehrere Anfänge und Schlüsse. Recherchierte viel. Letzteres würde man ihr auch glauben, würde sie es nicht erwähnen. Immer wieder spickt sie das Gespräch mit Fakten, auf die sie stiess: das Mikroklima des Urwaldes, im Permafrost gefangene Viren. An der einen Atelierwand türmen sich «Geo»- und «Mare»-Magazine gut hüfthoch. Doch es ist der alleinige Fokus auf Fakten, den Kobler an der Klima-Diskussion stört: «Man kann die Auswirkungen des Klimawandels immer gut wegschreiben, in dem man sie als Zahlen präsentiert – es wird dann einfach über Unterschiede in den Statistiken diskutiert.»
Etwas später hat sich der Himmel ein wenig aufgehellt. Die Esche neben Seraina Koblers Atelier zeichnet sich dunkel gegen das Weissgrau des Hochnebels ab. Kein Wind bewegt ihre Äste. Der Baum hat seine Ruhe.
Seraina Koblers Kulturtipps
Buch
Romana Ganzoni: Die Torte (Da Bux 2020)
«Eine Geschichte über Tablettensucht. Und einen Teenager, der sich mit Schokoladenmuffins, die wie Küsse schmecken, zurück ins Leben backt.»
Serie
Colin Nutley: Eine Hochzeit mit Folgen
«Die schwedische Miniserie zeigt, was Familie alles sein könnte. Und damit auch, wie offen der Norden in gesellschaftlichen Fragen ist.»
Abrufbar: www.arte.tv
Hörspiel
Sunil Mann: Schattenschnitt
«Vijay Kumar, der ‹beste und einzige indische Privatdetektiv› der Schweiz, kommt illegalen Medikamententests in Mumbai auf die Spur.»
Abrufbar: www.srf.ch