Franz Hohler «Rückeroberung» trifft auf... ja wen?
Seraina, du hast gerade deinen ersten Roman «Regenschatten» veröffentlicht. Eine Dystopie einer klimaveränderten Welt. Eine Mutter mit Kind mittendrin. Schwierige und schwere Themen. Bist du Pessimistin?
Es gibt diese These, dass man sich von Themen frei schreiben kann. Ich denke, das trifft bis zu einem gewissen Grad zu. Nach über einem Jahrzehnt Inland-Polit-Journalismus hatte ich stark das Gefühl, in einer brüchigen Welt zu leben. Vielleicht kam das davon, dass ich lange Zeit täglich die Nachrichten durch mich hindurch laufen liess. Vielleicht stimmte es aber auch, wie etwa die aktuelle Pandemie zeigt. Sie hat ihren Ursprung am selben Ort, wie die drohende Klimakatastrophe in meinem Roman. Aber das Ende zeigt: Da ist auch ganz viel Hoffnung. Und deshalb: Nein. Ich würde mich sogar eher als Optimistin bezeichnen.
Woher nimmt eine vierfache Mutter die Zeit, einen Roman zu schreiben?
Da gibt es verschiedene Strategien. Doppelt so schnell schreiben. Halb so viel schlafen. Aber das geht nur bis zu einem gewissen Punkt. Wobei es dann halt eben auch so war, dass es ab dort kein zurück mehr gab. Aufhören war keine Option. Also habe ich mich bei verschiedenen Stiftungen mit dem Stoff beworben und wurde dann an zwei Orten erhört. So hatte ich wenigstens drei Monate bezahlte Schreibzeit, um das Manuskript in eine taugliche Fassung zu bringen.
Was bedeutet für dich Vereinbarkeit?
Eine schwierige Frage. Früher dachte ich einmal, ich wüsste es. Zum Beispiel, dass ich nach meiner Leistung bewertet werde. Und nicht daran, wie lange ich im Büro sitze. Oder, dass ich nicht für meine Berufstätigkeit steuerlich bestraft werde. Mittlerweile habe ich aber das Gefühl, dass das alles viel komplexer ist. Und die Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern und den damit verbundenen Rollen so tief in das System, in dem wir leben, verwoben sind, dass diese Beispiele viel zu banal sind.
Warum tust du, was du tust?
Weil ich nicht anders kann? Das war schon immer so. Wenn ich mich irgendwo entscheiden musste, ob ich einen vernünftigen sicheren Job mache – oder eine Herzensangelegenheit. Dann habe ich mich immer für letzteres entschieden.
Wie viel arbeitest du insgesamt?
Schreiben ist oft Selbstausbeuterei. Zumindest finanziell gesehen. Dafür kommt man aber dem Stoff, der einem die Welt bedeutet, ziemlich nah. Zählt das als Arbeit, wenn ich eine Idee aufschreibe, die ich vor dem Einschlafen hatte? Wenn ich meinen Kindern Porridge koche? Eine Sitzung abhalte, aus der nicht sofort ein Auftrag erwächst? Seit ich selbstständig bin, ist das alles nicht mehr so genau auseinander zu halten. Viel einfacher ist die umgekehrte Frage: Wann arbeitest du nicht? Und das ist im Schlaf. Und davon brauche ich genug. Am besten acht Stunden.
«Wenn ich mich entscheiden musst, ob ich einen vernünftigen sicheren Job mache – oder eine Herzensangelegenheit. Dann habe ich mich immer für letzteres entschieden.»
SERAINA KOBLER
Was ist für dich die grösste Herausforderung in Bezug auf Beruf und Familie?
Die eigenen Erwartungen und Vorstellungen, wie etwas sein sollte? Das gilt insbesondere dann, wenn ich weg bin. Ich habe gelernt, dass ich meinem Mann auch den Freiraum lassen muss, die Dinge so zu erledigen, wie er möchte.
Was ist dein Grösstes Learning als berufstätige Mutter?
Ich kannte es nie anders. Deshalb finde ich es schwierig, ganz konkret etwas zu benennen. Das ergibt sich ja eher prozesshaft. Was ich mir mal geschworen hatte: Ich gebe nie weinende Kinder irgendwo ab. Das konnte ich bis heute 13 Jahre lang einhalten. Zum einen gehen meine Kinder sehr gern in die Kita. Was auch daran liegt, dass diese grossartig geführt ist. Und wenn sie mal nicht mögen, dann haben wir immer einen Weg gefunden. Zuerst zusammen zum Bäcker einen Babychino trinken zum Beispiel. Und wir ziehen immer alle Jokertage ein.
Wo siehst du dich in fünf Jahren?
Moment. Dann bin ich… 43 Jahre alt. Seit ich Kinder habe, hadere ich immer wieder mit meinem Lebensentwurf. Oder besser gesagt, nicht mit dem Entwurf. Sondern eher dem Stadtleben. Einerseits liebe ich die Vielschichtigkeit, die kulturellen Einflüsse und das soziale Leben. Andererseits vermisse ich den Himmel über mir. Die Stille. Und etwas Erde vor der Haustür in der man auch wühlen und pflanzen darf. Aber ich glaube, das wird dann eher ein Plan für in etwa 15 Jahren, wenn die Kinder selbstständig sind. Von daher: Ich werde wohl dasselbe machen wie jetzt, einfach etwas länger. Und hoffentlich mit ein paar Büchern mehr im Gepäck.
Was würdest du in der Schweiz in Bezug auf Vereinbarkeit sofort ändern, wenn du könntest?
– Kinderkrippe verstaatlichen
– Scheidungs- und Unterhaltsbelange dem juristischen Prozess entziehen
– Rechtssicherheit für väterliches Engagement nach einer Trennung
– Lohntransparenz zwischen den Geschlechtern herstellen, damit ungleiche Löhne aufgrund des Geschlechts eingeklagt werden können
– Elternzeit
– Möglichkeit zur Pensen-Reduktion nach einer Geburt für beide Elternteile
– Keine Sitzung, keine Schule vor 08.45
Glaubst du wirklich, dass unsere zukünftige Welt, derjenigen aus «Regenschatten» ähneln wird?
Ich glaube nicht, dass wir so weit davon entfernt sind. Eigentlich ist es unsere Welt. Nur halt aus einer anderen Perspektive betrachtet. Aus der Perspektive derer, die nicht davon kommen. Aber trotzdem ist da auch viel Hoffnung. Denn auch die gibt es. Ich habe mit Recherchen für einen zweiten Teil des Buches begonnen. Es soll eine städtische Utopie um das Jahr 2060 werden. Dort versuche ich, die positive Wendung zu zeichnen, die unsere Welt nehmen könnte. Oder besser gesagt: Die Menschheit.
Was können wir deiner Meinung nach tun, um das mitzugestalten?
Echte Empathie pflegen. Bildung für alle. Nur soviel nehmen, wie wir wirklich brauchen.
Was wünscht du deinen Kindern?
Ich wünsche meinen Söhnen, dass wenn sie einst Kinder haben, sie diese aufwachsen sehen dürfen. Egal, ob sie mit der Mutter zusammen sind – oder nicht. Ich wünsche meinen Töchtern, dass sie für die gleiche Arbeit den gleichen Lohn erhalten wie meine Söhne. Und am allermeisten wünsche ich ihnen, dass wir es schaffen, ihnen den Planeten in einem Zustand zu übergeben, der es ihnen erlaubt, selbst einmal mit guten Gewissen Kinder haben zu können.
Franz Hohlers „Rückeroberung“ trifft auf… ja wen? Ich fand bei der Lektüre keine vergleichbare Autorin, die so spannend und haargenau beschreibt, wie sich eine Schwangerschaft und eine Geburt anfühlt. Inmitten einer chaotischen Welt. Seraina Koblers Debut ist sehr gelungen. Spannend, berührend und regt zum Nachdenken an. Ich zumindest habe es an einem Tag durchgelesen. Nathalie Sassine, Redaktorin BEEHIVE