Das Glück findet einen auf der Hardbrücke
Autorin Seraina Kobler hat sich für ihren Debütroman von der Stadt inspirieren lassen. Ihr Glück findet sie auf der Hardbrücke, wenn die Stadt aus dem Nebel steigt.
Ihr neues Buch «Regenschatten» spielt in einer Schweizer Grossstadt. Wie stark ist es von Zürich inspiriert?
Wer Zürich kennt, der erkennt die Stadt. Auch wenn sie nicht benannt wird, ist die Topografie dennoch sehr detailliert beschrieben. Zürich war wichtig für das «Was wäre, wenn»-Szenario des Buches – wo wir hier doch immer irgendwie davonkommen und unseren Abfall zweimal die Woche in weissen Plastiksäcken an die von Platanen beschattete Strasse stellen, während die Tundra am Polarkreis brennt.
Erscheint ein neues Buch, ist dies meist verbunden mit Lesungen und Besuchen auf Messen. Wie sieht das zurzeit bei Ihnen aus?
Als die romanischen Literaturtage abgesagt wurden, dachte ich, okay, du hast ja noch die Frankfurter Buchmesse. Als Frankfurt abgesagt wurde, sagte ich mir, zum Glück liest du noch an der Buch Wien. Als Wien abgesagt wurde, dachte ich: Jetzt musst du ein neues Buch schreiben. Und dann: Verdammt, das dauert ewig.
Empfinden Sie als Autorin die Situation auch als inspirierend oder nur als Bürde?
Sowohl als auch, das wechselt manchmal stündlich. Wer auf keiner Short- oder Bestsellerliste erscheint, hat es schwer in diesen Tagen. Aber ich erlebe immer wieder unerwarteten Zuspruch. Zum Beispiel hat mir kürzlich jemand, der eine Herde Schafe im Engadin sömmert, Bilder von der Lektüre meines Romans geschickt. Das hat mich sehr berührt. Dann sind da die Schauspielerin aus dem Quartier oder der ehemalige Musikmanager, die Lesungen bei sich zu Hause für ein affines Publikum organisieren.
Was machen Sie am liebsten auf Ihrem Balkon?
Beim Eindunkeln eine Kerze anzünden.
Wann ist Zürich am schönsten?
Beim Heimlaufen nach dem Ausgang – egal, um welche Uhrzeit.
Auf welcher Wiese schauen Sie gern in den Himmel?
Auf keiner Wiese, denn am liebsten schaue ich vom schwarzen Garten im Niederdorf aus in den Himmel. Dort befindet sich in einem historischen Wäschehaus mein Schreibatelier. Davor steht ein Liegestuhl unter einer knorrigen, haushohen Esche.
Ihr Züri-Soundtrack?
«Manila» von Seelenluft; den Song habe ich zum ersten Mal in der Dachkantine, dem ehemaligen Club im Kreis 5, gehört.
Sie können Ihr ganzes Leben nur noch in einer Zürcher Beiz essen – in welche gehen Sie?
In die alte Alpenrose, aber dort kocht Tine Giacobbo ja nicht mehr. Darum würde ich selber kochen, aus Giacobbos Kochbuch «Jetzt müsst ihr selber kochen».
Vor welcher Kulisse können Sie nicht widerstehen, ein Selfie zu machen?
Vor dem Waschsalon an der Winterthurerstrasse, er ist einer der Letzten seiner Art.
Auf welchen Luxus wollen Sie nicht verzichten?
Auf einen gelegentlichen Einkauf in unserem Quartierladen «Nah und fein» mit hochwertigen Lebensmitteln aus der Region – ohne auf die Preisschilder zu schauen.
Wann haben Sie das letzte Mal geweint?
Bei der Einschulung meiner Tochter, gut versteckt hinter der Maske. Ich weine prinzipiell an jedem Weihnachtssingen und bei jeder Abschiedsrede. Aber sehr diskret, auch ohne Maske.
Wo findet einen in Zürich das Glück?
Auf der Hardbrücke, wenn die Sonne unerwartet durchbricht und die Umrisse der Stadt aus dem Nebel aufsteigen.
Aufgezeichnet von Annik Hosmann
Seraina Koblers liebste Kulisse – auch für Selfies: Waschsalon an der Winterthurerstrasse. Foto: Anna-Tia Buss