Leben auf einer erhitzten Erde

…Wir ahnten in diesem Moment nicht, dass nicht weit von uns entfernt brennende Vögel vom Himmel fielen. Hätten sich die Wanderer, die zu dieser Zeit unter einem Baum in der Nähe eine Rast machten, nicht gegenseitig die Ereignisse bestätigen können, hätten sie wohl selbst gedacht, dass die flirrende Hitze ihrem durstigen Verstand einen Streich spielte.“ Anna und David machen einen Kurzurlaub in den Bergen. Sie sind verliebt, jedoch nicht unbeschwert. Anna ist schwanger und David nicht der Vater. Hinzu kommt die extreme Hitze in diesem Sommer. Die Vögel entzündeten sich an einem Kurzschluss in der Starkstromleitung der Bahnlinie, doch ihr Brennen ist Vorbote für weit Schlimmeres. Anderes folgt, das die Menschen in ihrer Existenz bedroht: zum Beispiel ein Staubsturm, ausgelöst durch Pflugarbeiten im ausgetrockneten Acker, der auf einer Schnellstraße für eine Massenkarambolage sorgt, und schließlich ein verheerender Waldbrand, der für sämtliche Bürger in Zürich lebensbedrohlich wird. Die Menschen müssen sich vor dem Feuer in Sicherheit bringen.

Während der Boden des Waldes immer noch unterirdisch glüht, zieht sich Anna in ein evakuiertes Wohnhaus in einer Sperrzone am Zürichberg zurück. Sie ist in mehrfacher Hinsicht verwundbar, erwartet ein Kind, während die Welt, in die hinein es geboren werden soll, aus den Fugen gerät. Auf der einen Seite die Katastrophe, die existenzielle Bedrohung, auf der anderen Seite das wachsende Leben. Seraina Kobler lotet dieses Spannungsfeld mit viel Sensibilität aus. Ihre Dystopie ist nicht laut, sie kommt ohne große Effekte aus, auch wenn die Bilder, die sie wählt, kraftvoll sind. Das beginnt mit dem Titel „Regenschatten“. Ein Begriff, der die vom Wind abgelegene Seite bezeichnet. Im Gebirge verursacht der Regenschatten Dürren, wenn nicht sogar Wüsten.

Kobler beschreibt das Szenario dieser großen Dürre, das in einer nicht allzu fernen Zukunft spielt, leise. Sie schreibt zunächst über alltägliches Erleben, über die ganz persönliche Befindlichkeit Annas. Die sich verändernden Umweltbedingungen scheinen zunächst nur Rahmenhandlung, aus dem Alltag heraus werden sie zwar wahr-, aber nicht wirklich ernstgenommen. Bis sie sich mit Wucht in den Vordergrund drängen. Die wetterbedingten Ereignisse, die Kobler beschreibt, sind seit der Jahrtausenddürre von 1540 fast alle an verschiedenen Orten in Europa geschehen, wie die 1982 geborene Autorin in einer kurzen Erklärung am Ende des Buches schreibt. Weitere Recherchen führten Kobler zum Meteorologischen Dienst Schweiz, der ihr Berichte und Studien mit Szenarien zum Klimawandel zur Verfügung stellte und zu verschiedenen Experten.

So ist es kein Wunder, dass der Roman so nahe an unserer Lebenswirklichkeit zu liegen scheint. Erschreckend nahe. Seraina Kobler wollte ursprünglich einen Roman über Generationen Traumata schreiben, aufzeigen, wie uns unsere Herkunft mehr formt, als wir das vielleicht möchten. „Ich wollte von dem faszinierenden Bild ausgehen, dass im Körper einer mit einem Mädchen schwangeren Frau drei Generationen vereint sind. Die werdende Mutter. Das Kind im Bauch. Und in den Eierstöcken des Babys ist die künftige Enkelin bereits angelegt.“ Beim Lesen drängt sich unwillkürlich die Frage auf, welche Zukunft das Kind, das im Bauch von Anna heranwächst, haben wird, wie es in dieser sich im Umbruch befindenden Welt überhaupt Hoffnung auf eine gute Zukunft schöpfen kann.

Es ist berührend, wie die Schwangerschaft Annas dargestellt wird und auch die spätere Geburt. Das Leben wird als etwas sehr Kostbares gezeigt, von der ersten Sekunde an, in der sie es in sich spürt.

Seraina Kobler ist selbst Mutter von vier Kindern. Nach der Geburt ihrer jüngsten Tochter kehrte sie nicht zurück zu ihrer Arbeit bei der „Neuen Züricher Zeitung“ und betreibt heute ein Schreibatelier. Dass sie sich während ihrer Zeit als Journalistin mehr als zehn Jahre lang mit den Themen Energie und Konsum beschäftigte, prägte die Entwicklung des Romans, den sie im Jahr 2017 zu schreiben begann. „Das äußere Setting ist immer wichtiger geworden im Laufe der Entstehung. Zuerst war es einfach nur heiß. Ein heißer Sommer. Je mehr ich dann aber recherchiert habe, zuerst nur um die Hitze glaubwürdig zu schildern, wurde mir klar, dass man die größeren dahinter stehenden Entwicklungen nicht einfach außen vor lassen kann“, erzählt sie. „Wenn es so weitergeht, rasen wir mit 300 Stundenkilometern gegen eine Wand. Das macht mir schon Angst. Große Angst sogar. Und doch müssen wir ja auch funktionieren. Und gerade Kinder erinnern einen jeden Tag daran, dass die Hoffnung auf die möglichst beste Wendung essenziell ist. Die großen Bögen können wir als Einzelpersonen nur bedingt bis gar nicht beeinflussen. Da fühlt man sich schnell macht- und mutlos. Aber was wir beeinflussen können, ist unseren Umgang damit. Daher versuche ich, meinen Kindern Vertrauen mitzugeben. Den Moment, das Zusammensein, die Wärme. Und hoffe, dass daraus ein Boden entsteht, der ihnen die Furcht nimmt.“ Diese Gedanken spürt man auch beim Lesen des Romans. Es ist berührend, wie die Schwangerschaft Annas dargestellt wird und auch die spätere Geburt. Das Leben wird als etwas sehr Kostbares gezeigt, von der ersten Sekunde an, in der sie es in sich spürt.

Natürlich hoffe ich, dass, wenn meine den Roman lesen werden, die Weichen in Richtung Zukunft so gestellt wurden, dass sie diese Geschichte als Zeitdokument lesen können.

Auf die Frage, ob sie den Roman auch für ihre Kinder geschrieben hat, antwortet die Autorin: „Es heißt ja manchmal, dass man sich von Themen frei schreiben kann. Das stimmt bis zu einem gewissen Grad schon. Es hatte auch etwas Befreiendes, sich einmal ein Worst-Case-Szenario auszudenken. Den diffusen Ängsten und dem unterschwelligen Gefühl der Bedrohung unserer Existenz durch die Lebensweise der Menschen in westlichen Gesellschaften einen Ausdruck zu geben. Für meine Kinder hat das dann vielleicht den Effekt, dass ich durch die Beschäftigung mit dem Thema etwas weniger ängstlich bin. Was mir wiederum ermöglicht, ihnen Sicherheit mitzugeben. Und kraftvoll für sie da zu sein. Daher: Natürlich ist er auch für meine Kinder. Und natürlich hoffe ich, dass, wenn sie den Roman lesen werden, die Weichen in Richtung Zukunft so gestellt wurden, dass sie diese Geschichte als Zeitdokument lesen können.“

Erschienen im Bücher-Magazin vom 12. Januar 2021

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