Im Mittelpunkt steht die Vergänglichkeit des Lebens und der Natur
In ihrem Debütroman «Regenschatten» inszeniert die Schriftstellerin und Journalistin Seraina Kobler ein Zürich der nahen Zukunft, in der Wasser, Saatgut und Bäume zur Rarität werden. Im Mittelpunkt steht die Vergänglichkeit des Lebens und der Natur, aber auch ein möglicher Neuanfang.
Von Florian Koller
26. Oktober 2020
Seien es die steigenden Meeresspiegel, zahlreiche aussterbende Tierarten, stark übernutzte Flächen oder die überfischten Weltmeere – das Zeitalter des Menschen hat die Umwelt massiv verändert und tut dies immer noch. In den letzten Jahren erwuchs ein immer grösser werdendes gesellschaftliches Bewusstsein für die Wichtigkeit einer funktionierenden Umwelt. Diese Entwicklung widerspiegelt sich auch in der Literatur: Das neuere Genre der Climate Fiction gewinnt zunehmend an Bedeutung.
Das Klima der Körper
Seraina Kobler widmet sich in ihrem Erstling Regenschatten ebendiesem themenspezifischen Genre. In ihrem dystopischen Roman beschreibt sie ein Zürich der näheren Zukunft, das geprägt ist von einer Megadürre. In einer Rückblende wird die Geschichte der beiden Hauptfiguren Anna und David erzählt, die in dieser apokalyptischen Situation ein Baby erwarten. Das Problem: David ist nicht der Vater des Kindes. Als Anna ihm offenbart, dass sein guter Freund wohl der Vater ist, verlässt er sie. Schnell stellt sich die fundamentale Frage: Gebären oder abtreiben?
Neben der Schwangerschaft dominiert der im Titel anklingende «Regenschatten», die regenarme Seite eines Gebirges, die Erzählung. So bemerkt die Ich-Erzählerin unter anderem, dass die Stare wegbleiben, auch Ende November noch Leute in den Seen baden und die Schweizer Bevölkerung Bittgottesdienste für Regen abhält. Dass diese Katastrophe menschengemacht ist, zeigt sich in der Sprache: Wenn das Gletscherwasser in ein Becken «blutet», der Gletscher als «überhitzter Körper, der im Sterben» liegt, bezeichnet wird und das «Toteis» unter Schutt und Geröll begraben ist, so offenbart sich im schmelzenden Gletscher das menschliche Versagen.
Dass die beiden Erzählstränge Parallelen aufweisen, zeigt sich darin, dass sie immer wieder ineinander verflochten werden. Symptomatisch dafür steht das Beispiel, wo die Ich-Erzählerin von Forschern berichtet, die den grössten unterirdischen See der Welt erkunden, und auf «undurchsichtiges Wasser» stossen. Anna zieht dazu eine Analogie und hofft, dass auch der Frauenarzt bei der Untersuchung keine Schwangerschaft feststellen kann.
Nichts beginnt danach
Mit der im Verlauf der Erzählung steigenden Temperatur und dem Baby, das in Annas Bauch wächst, nimmt auch die Erzählung an Fahrt auf. Der Roman eröffnet und behandelt zahlreiche Gegensätze wie Vergänglichkeit und Neuanfang, Leben und Tod, Individuum und Kollektiv und schafft so Spannungsverhältnisse, die sich bis am Schluss halten und den Leser fesseln. Im Individuellen sowie auch Kollektiven zeigt Seraina Kobler sprachgewandt auf, wie leicht der Status quo, aber auch die Natur aus den Fugen geraten kann. Neben der klaren Sprache erlangt der Text seine Wirkung durch die unmittelbare Umgebung, in der die Ereignisse stattfinden. Die Botschaft wirkt dadurch nahbarer, gleichzeitig aber auch gefährlicher. Die Frage, ob auch in diesem Fall am Ende ein Neuanfang steht, lässt Kobler – zumindest im Falle der Naturkatastrophe – unbeantwortet.